WikiLeaks fand seine natürliche Heimat in Europa, heute ist die Zukunft beider in Gefahr
Von Julian Assange
Vor der Parlamentarischen Versammlung des Europarats
Die Säulen einer freien und informierten Gesellschaft
Herr Vorsitzender, geschätzte Mitglieder der Parlamentarischen Versammlung des Europarats, meine Damen und Herren, der Wechsel von jahrelanger Gefangenschaft in einem Hochsicherheitsgefängnis hin dazu, nun hier vor den Vertretern von 46 Nationen und 700 Millionen Menschen zu stehen, ist ein überwältigender und surrealer. Die Erfahrung, über Jahre hinweg in einer kleinen Zelle isoliert zu sein, ist schwer zu vermitteln. Sie entreisst einem die Empfindung für das eigene Selbst und hinterlässt allein die nackte Essenz der Existenz. Ich bin noch nicht in der Lage, über das, was ich in dieser Hinsicht erlebt habe, zu sprechen, über den unerbittlichen Kampf, physisch und geistig am Leben zu bleiben und ebenso wenig über die Tode meiner Mitinsassen durch Erhängen, Mord und medizinische Vernachlässigung.
Ich bitte im Voraus um Verständnis, falls meine Rede holprig sein wird oder diese Präsentation nicht den Glanz besitzt, die von einem so angesehenen Forum normalerweise erwartet wird. Die Isolation hat ihre Wirkung gehabt, von deren Fesseln ich versuche, mich zu befreien. Es ist daher herausfordernd für mich, in diesem Rahmen zu sprechen. Der Ernst der Lage und der Umfang dieses Anlasses sowie das Gewicht des zu behandelnden Themas veranlassen mich jedoch dazu, meine Zurückhaltung beiseitezuschieben und hier direkt, in Person, zu Ihnen zu sprechen. Ich habe somit real, aber auch im übertragenen Sinne, einen weiten Weg zurückgelegt, um heute vor Ihnen zu stehen.
Bevor wir zur Diskussionsrunde und Beantwortung Ihrer Fragen kommen1, möchte ich der Parlamentarischen Versammlung des Europarats (PACE) für ihre Resolution aus dem Jahr 2020 danken, in der darauf hingewiesen wurde, dass meine Inhaftierung einen gefährlichen Präzedenzfall für Journalisten darstellt und dass der UN-Sonderberichterstatter für Folter meine Freilassung forderte. Ebenso danke ich für die Stellungnahme der PACE aus dem Jahr 2021, in der sie erneut meine unverzügliche Freilassung forderte und ihre Betroffenheit über die ernst zu nehmenden Berichte zum Ausdruck brachte, denen zufolge US-Beamte meine Ermordung erwogen. Und letztendlich möchte ich das Legal Affairs and Human Rights Committee dafür loben, dass es eine renommierte Journalistin beauftragt hat, [...] die Umstände meiner Inhaftierung, Verurteilung und die daraus resultierenden Folgen für die Menschenrechte zu untersuchen und darüber zu berichten.2
Nur weil ich mich des Journalismus für schuldig bekannt habe, bin ich frei
Keine der Bemühungen, die in meinem Fall unternommen wurden – sei es von Parlamentariern, Präsidenten, Premierministern, dem Papst, UN-Beamten und Diplomaten, Verbänden, juristischen und medizinischen Fachleuten, Akademikern, Aktivisten oder Bürgern –, keine der Stellungnahmen, Resolutionen, Berichte, Filme, Artikel, Veranstaltungen, Spendenaktionen, Proteste oder Briefe der letzten 14 Jahre hätten notwendig sein dürfen. Aber sie alle waren notwendig, denn ohne sie hätte ich nie wieder das Licht des Tages gesehen. Dieser beispiellose weltweite Einsatz war deshalb notwendig, weil es den Rechtsschutz selbst da, wo es ihn gab, oft nur auf dem Papier gab und er nicht in einem auch nur annähernd angemessenen Zeitrahmen wirksam wurde.3
Am Ende – nach Jahren im Gefängnis und der Aussicht auf eine drohende auf 175 Jahre hinauslaufende Haftstrafe, ohne jegliche Hoffnung auf Strafmilderung – entschied ich mich für die Freiheit anstelle von einer unerreichbaren Gerechtigkeit. Gerechtigkeit ist für mich nun ausgeschlossen, da die US-Regierung in ihrem Deal schriftlich darauf bestand, dass ich durch meine Zustimmung sowohl jegliche Möglichkeit verliere, nachträglich beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eine Klage, als auch einen Antrag nach dem Freedom of Information Act (FOIA) einzureichen, um den Tatbestand dessen feststellen zu lassen, was die US-Regierung an mir – infolge ihres Auslieferungsantrages – verbrochen hat.4
Zu nichts anderem habe ich mich schuldig bekannt!
Ich möchte keinen Zweifel daran lassen: Ich bin nicht deswegen heute frei, weil das System funktioniert hat, sondern weil ich mich nach Jahren der Haft des Journalismus für schuldig bekannte. Ich bekannte mich dazu schuldig, Informationen von einer Quelle erbeten, Informationen von einer Quelle erhalten und diese Informationen der Öffentlichkeit mitgeteilt zu haben. Dazu und zu nichts anderem habe ich mich schuldig bekannt! Ich hoffe, dass meine heutige Aussage vor Ihnen dazu beitragen kann, die Mängel der heute bestehenden Rechtssicherheit aufzuzeigen und denen zu helfen, deren Fälle zwar weniger sichtbar, aber keineswegs weniger wehrlos dastehen, als der meinige es tat.5
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Während ich mich langsam aus dem Graben des Belmarsh erhebe, scheint mir, dass uns die Wahrheit ferner gerückt ist denn je, und es grämt mich, wie viel uns abermals in der Zwischenzeit abhanden gekommen ist, wie das Vertreten der Wahrheit weiter untergraben, angegriffen, mit Füssen getreten und beschränkt wurde. Ich sehe mehr Straflosigkeit, mehr Geheimhaltung, mehr Vergeltungssucht der Mächtigen gegenüber jenen, die die Wahrheit verkünden, und ich sehe mehr Selbstzensur seitens der Letzteren selbst. Es ist schwer, einen Zusammenhang zu übersehen zwischen der Verfolgung meiner Person – bei der die US-Regierung den Rubikon überschritt, indem sie den Journalismus weltweit kriminalisierte – und dem eisigen Klima, das heute in Bezug auf die Meinungsfreiheit herrscht.6
WikiLeaks – die Landkarte
Meine Gründung von WikiLeaks basierte auf einem einfachen Traum: Menschen darüber aufzuklären, wie die heutige Welt funktioniert, damit diese Erkenntnis sie in die Lage versetzt, eine bessere Welt zu schaffen. Wenn wir eine Landkarte besitzen, durch die wir genau wissen, wo wir uns befinden, dann wissen wir auch auf welchem Wege von dort aus das Ziel zu erreichen ist. Wissen ermächtigt uns, die Mächtigen zur Rechenschaft zu ziehen und dort Gerechtigkeit zu fordern, wo es sonst keine gäbe. WikiLeaks erhielt und veröffentlichte bis dahin unter Verschluss gehaltene Wahrheiten über Tausende und Abertausende von Kriegsopfern, Mordprogrammen, Entführungen, Folter und Massenüberwachung. Nicht allein, wo und wann sich diese Gräueltaten zutrugen, deckten wir auf, sondern auch essentielle Details, die die dahinter stehenden politischen Strategien, Vereinbarungen und Strukturen betreffen.
Als wir «Collateral Murder» veröffentlichten – das berüchtigte Filmmaterial der Bordkamera eines US-amerikanischen Apache-Kampfhubschraubers, das zeigt, wie eine Besatzung begierig irakische Journalisten und diejenigen, die versuchten, sie in Sicherheit zu bringen, in Fetzen schiesst – versetzte diese visuelle Realität moderner Kriegsführung die Welt in Schock. Der Aufruhr im Zusammenhang mit diesem Video ermöglichte es uns, die Menschen
«Collateral Muder». Quelle: wikileaks.org
über die geheimen Richtlinien des US-Militärs noch tiefgründiger aufzuklären, unter deren Befolgung tödliche Gewalt im Irak umgesetzt wurde und die vorgaben, wie viele Zivilisten getötet werden durften, bevor eine höhere Genehmigung einzuholen sei. Ganze 40 von den mir ursprünglich zugedachten 175 Jahren Haftstrafe bezogen sich auf das erhalten und veröffentlichen der Daten und Dokumente eben diese Richtlinien betreffend.7
Die praktische politische Vision, die – nach dem Blick hinter die Kulisse der grausamen Kriege und geheimen Operationen unserer Gegenwart – vor meinem inneren Auge stand, ist simpel: Lasst uns aufhören uns gegenseitig zu quälen, zu foltern und zu töten! Wenn wir diese elementaren Dinge richtig machen, werden auch unsere politischen, wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Prozesse den Rest regeln.8
WikiLeaks und Europa
Die Tätigkeit von WikiLeaks war tief in den Prinzipien, für die auch diese Versammlung steht, begründet. Unser Journalismus erhob das Recht auf Informationsfreiheit und das Recht der Öffentlichkeit auf Wissen. WikiLeaks fand seine natürliche Heimat in Europa. Ich lebte in Paris und wir besassen offiziell eingetragene Firmensitze sowohl in Frankreich als auch auf Island. Unser journalistisches und technisches Personal war über ganz Europa verteilt und wir publizierten – von Servern aus, die in Frankreich, Deutschland und Norwegen stationiert waren – für die ganze Welt.9
Doch dann – vor 14 Jahren – verhaftete das US-Militär einen unserer mutmasslichen Whistleblower, den Gefreiten Manning, einen im Irak stationierten Analysten des US-Geheimdienstes. Zur gleichen Zeit leitete die US-Regierung eine Ermittlung gegen mich und meine Kollegen ein. Sie schickte illegal Flugzeuge mit Agenten nach Island, bezahlte einen Informanten, um unsere juristischen und journalistischen Arbeitsergebnisse zu stehlen, und übte ohne formelles Verfahren Druck auf Banken und Finanzdienstleister aus, um sie dazu zu bewegen, unsere Mitgliedschaften zu kündigen und unsere Konten einzufrieren. Auch die britische Regierung war an einigen dieser Schikanen beteiligt, wie sie später vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zugeben musste, als ans Licht kam, dass sie während dieser Zeit meine britischen Anwälte illegal ausspioniert hatte.10
Es gab für das gesamte Unterfangen keinerlei rechtliche Grundlage und so musste das Justizministerium unter Präsident Obama letztendlich von einer Anklageerhebung gegen mich absehen, denn kein Verbrechen konnte mir nachgewiesen werden und die Vereinigten Staaten hatten bis dahin noch nie einen Herausgeber wegen der Veröffentlichung oder Beschaffung von Regierungsinformationen strafrechtlich verfolgt; dies zu tun, würde eine heikle, radikale und ominöse Neuinterpretation der US-Verfassung erfordern. Im Januar 2017 hob dann Obama letztendlich die Haftstrafe Mannings auf, die als eine meiner Quellen verurteilt worden war.11
Der CIA-Plan: Meine Ermordung und DNA-Diebstahl aus der Windel meines Sohnes
Im Februar 2017 änderte sich die Landschaft jedoch dramatisch. Präsident Trump hatte die Wahl gewonnen. Er ernannte zwei «Wölfe» in MAGA-Hüten12, Mike Pompeo, einen Kongressabgeordneten aus Kansas und ehemaligen
Waffenindustriemanager, zum CIA-Direktor und William Barr, einen ehemaligen CIA-Beamten, zum Justizminister der Vereinigten Staaten. Im März 2017 hatte WikiLeaks die Infiltration französischer politischer Parteien durch die CIA aufgedeckt, sowie deren Spionage gegen französische und deutsche Staats- und Regierungschefs, die Europäische Zentralbank, die europäischen Wirtschaftsministerien und deren ständige Praxis, die gesamte französische Industrie auszuspionieren. Wir deckten CIA's Sabotage von Lieferketten und Unterwanderung von Antiviren-Software, Autos, Smart-TVs und iPhones, sowie deren umfangreiche Produktion von Schadsoftware und Viren auf.13
CIA-Direktor Pompeo leitete nun eine Vergeltungskampagne gegen uns ein. Es ist inzwischen öffentlich bekannt, dass die CIA unter Pompeos ausdrücklicher Anweisung Pläne ausarbeitete, um mich in der ecuadorianischen Botschaft in London zu entführen und zu ermorden, meine europäischen Kollegen zu verfolgen und uns des Diebstahls, Hacking-Angriffen und der Verbreitung von Falschinformationen zu bezichtigen. Auch meine Frau und mein neugeborener Sohn waren Zielpersonen dieser Kampagne, indem ein CIA-Agent Vollzeit damit beauftragt war, meine Frau zu beschatten und Anweisungen gegeben wurden, DNA aus der Windel meines sechs Monate alten Sohnes zu beschaffen. Das geht zum einen aus den Aussagen von mehr als 30 amtierenden und ehemaligen US-Geheimdienstmitarbeitern gegenüber der US-Presse hervor und ist ausserdem durch Unterlagen, die im Rahmen einer Strafverfolgung gegen einige der beteiligten CIA-Agenten konfisziert wurden, belegt.14
Die Verfolgung meiner Person, meiner Familie und meiner Mitarbeiter durch die CIA mit aggressiven, unrechtmässigen und exterritorialen Mitteln gibt einen seltenen Einblick in die Art und Weise, wie einflussreiche Geheimdienstorganisationen über Landesgrenzen hinweg ihre Macht ausüben. Ich betone: Nicht die Machtausübung ist selten, sondern die Tatsache, dass wir aufgrund zahlreicher Whistleblower und gerichtlicher Ermittlungen in Spanien in diesem Fall so viel darüber wissen.15
Geheime Haftzentren der CIA in Europa
Die Versammlung, vor der ich jetzt hier stehe, ist nicht ohne Kenntnis der exterritorialen Missbräuche durch die CIA. Der bahnbrechende Bericht des PACE über die CIA-Entführungen in Europa deckte auf, wie die CIA hier geheime Haftzentren betreibt und widerrechtliche Entführungen auf europäischem Boden durchführt, was eine Verletzung des Menschen- und des Völkerrechts darstellt. Im Februar dieses Jahres wurde der ehemalige CIA-Beamte Joshua Schulte, der mutmassliche Informant einiger unserer CIA-Enthüllungen, zu 40 Jahren Haft unter extremer Isolation verurteilt. Die Fenster seiner Zelle sind verdunkelt und über seiner Tür ist eine sogenannte «White-Noise-Machine» angebracht, die rund um die Uhr läuft, sodass seine Schreie nicht nach aussen durch die Tür hindurchdringen können. Diese Haftbedingungen sind schlimmer als die in Guantánamo Bay. Transnationale Unterdrückung wird jedoch auch auf dem Umwege des Missbrauchs des Justizsystems betrieben und der Mangel an wirksamen Sicherheitsvorkehrungen gegen diese Art von Unterdrückung bedeutet, dass Europa in Gefahr ist, sein Rechtssystem und Auslieferungsübereinkommen von fremden Mächten gekapert zu bekommen, die bezwecken gegen systemkritische Stimmen in Europa vorzugehen.16
Die britische Regierung verheimlichte den US-Haftbefehl zwei Jahre lang
In Michael Pompeos Memoiren, die ich in meiner Gefängniszelle las, gibt der ehemalige CIA-Direktor damit an, den US-Generalstaatsanwalt unter Druck gesetzt zu haben, damit dieser als Gegenreaktion auf unsere Veröffentlichungen die CIA betreffend einen Auslieferungsprozess gegen mich einleite. Und so geschah es auch: Auf Pompeos Drängen hin eröffnete der US-Generalstaatsanwalt die Ermittlungen gegen mich, die Obama früher eingestellt hatte. Manning wurde erneut verhaftet, diesmal als Zeugin, um gegen mich auszusagen. Sie wurde über ein Jahr lang festgehalten und musste eine Geldstrafe von 1.000 Dollar pro Tag bezahlen, in einem formellen Versuch, sie zu Aussagen gegen mich zu zwingen. Am Ende versuchte sie, sich das Leben zu nehmen. Fälle, in denen man Journalisten dazu zwingen möchte, gegen ihre Quelle auszusagen, sind ja bekannt, aber hier handelte es sich um eine Quelle, die man zwingen wollte, gegen ihren Journalisten auszusagen. Im Dezember 2017 hatte CIA-Direktor Pompeo bereits das gewünschte Ziel erreicht und die US-Regierung stellte einen Haftbefehl – für meine Auslieferung – an das Vereinigte Königreich aus, den die britische Regierung der Öffentlichkeit ganze zwei Jahre verheimlichte, während die US-Regierung und der neugewählte Präsident von Ecuador daran arbeiteten, die politischen, rechtlichen und diplomatischen Voraussetzungen für meine Verhaftung herzustellen.17
Neue Rechtsposition betr. freie Meinungsäusserung: Europäer in Europa besitzen dieses Recht nicht mehr
Wenn einflussreiche Nationen sich berechtigt fühlen, Menschen ausserhalb ihrer Staatsgrenzen zu verfolgen, haben diese Individuen – angesichts der unendlichen Ressourcen eines solchen Aggressorstaates – keine Hoffnung auf Gerechtigkeit, wenn nicht ihr eigener Staat strikte Rechtsschutzmassnahmen besitzt und das Rückgrat, diese konsequent zu implementieren. Als wäre die Lage in dieser Hinsicht nicht schon schlimm genug gewesen,
hat nun die US-Regierung meinen Fall dazu benutzt, eine gefährliche neue globale Rechtsposition durchzusetzen, gemäss der nur noch US-Bürger das Recht auf freie Meinungsäusserung besitzen. Europäer und Angehörige anderer Nationalitäten besitzen dieses nicht mehr. Das US-Spionagegesetz jedoch hat allerdings sehr wohl auch weiterhin für Nicht-US-Bürger weltweit Geltung. Konkret bedeutet das – aus Sicht der US-Regierung –, dass europäische Bürger, die sich in Europa befinden, ausnahmslos das US-Geheimhaltungsgesetz zu befolgen haben. Ein Amerikaner in Paris könnte sich ggf. noch dazu äussern, was die US-Regierung im Hintergrund plant, ein sich in Paris befindender Franzose jedoch nicht, ohne dadurch sozusagen zum Verbrecher ohne Hoffnung auf Gerechtigkeit zu werden, dem – wie es auch in meinem Fall vorgesehen war – die Auslieferung droht. Indem eine ausländische Regierung – durch den Prozess gegen mich – somit nun offiziell geltend gemacht hat, dass Europäer kein Recht mehr auf freie Meinungsäusserung besitzen, ist damit ein gefährlicher Präzedenzfall geschaffen und ein Beispiel vorgeführt, dem andere einflussreiche Staaten unweigerlich folgen werden. Im Rahmen des Ukrainekriegs wurden bereits auf diesem Wege Journalisten innerhalb von Russlands Grenzen kriminalisiert, aber umgekehrt steht nun auch dem nichts mehr im Wege, dass auch Russland oder ein anderer Staat etwa europäische Journalisten, Herausgeber oder gar Social-Media-Nutzer ins Visier nehmen könnte unter dem Vorwand, dass gegen sein nationales Geheimhaltungsgesetz verstossen wurde.18
Die Rechte von Journalisten und Publizisten in Europa sind existenziell bedroht. Transnationale Unterdrückung darf nicht zur Norm werden. Als eine der beiden grossen normbildenden Institutionen der Welt muss PACE einschreiten. Die Kriminalisierung von Informationsbeschaffungsaktivitäten ist eine Bedrohung für alle investigativen Journalisten. Ich wurde, während ich mich in Europa befand, von einer ausländischen Macht vor aller Augen dafür verurteilt, wahre Informationen über die Verbrechen dieser Macht angefordert, erhalten und veröffentlicht zu haben. Aber das Grundprinzip ist einfach. Journalisten dürfen nicht dafür verurteilt werden, dass sie ihre Arbeit tun. Journalismus ist kein Verbrechen. Er ist eine Säule der freien und informierten Gesellschaft.19
Wenn Europa eine Zukunft haben soll Der dunklen Scheideweg
Herr Vorsitzender, werte Delegierte, wenn Europa eine Zukunft haben soll, wo die freie Meinungsäusserung – und mit ihr auch die Freiheit, die Wahrheit zu publizieren – nicht nur Privileg der Wenigen, sondern das Recht eines jeden sein soll, dann muss es sicherstellen, dass das, was mir widerfuhr, niemand anderem jemals widerfahren kann. Ich möchte dieser Versammlung, den Konservativen, Sozialdemokraten, Liberalen, Linken, Grünen und Unabhängigen, die mich während der Höllenfahrt, die ich durchmachte, unterstützt haben, meinen tiefsten Dank aussprechen und ebenso den unzähligen Einzelpersonen, die sich unermüdlich für meine Freilassung eingesetzt haben. Es gibt Hoffnung zu wissen, dass eine Welt, die oft durch Ideologien und Interessen gespalten ist, doch, wenn es um den Schutz grundlegender Menschenrechte geht, einen Weg findet, ihre Kräfte zu vereinen.
Die Meinungsfreiheit und alles, was sie mit sich bringt, befindet sich an einem dunklen Scheideweg, und ich fürchte, dass es zu spät sein wird, wenn nicht Institutionen wie PACE gegenüber dem Ernst der Lage erwachen und zur Tat schreiten. Verpflichten wir uns daher gemeinsam dazu, sicherzustellen, dass das Licht der Freiheit niemals erlischt, dass das Streben nach Wahrheit immer fortbesteht und dass die Stimmen der Vielen nie der Macht der Wenigen geopfert werden! Vielen Dank!20
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Die transkribierte und übersetzte Fragenbeantwortung erscheint in einer Folgeausgabe.
Transkription und Übersetzung sowie Hinzufügung von Titeln und Zwischenüberschriften: Kirsten Juel. Korrektorat: Elisabeth Winterer. Auslassungen sind durch [...] markiert und die jeweilige Textstelle des Originaltranskript am Ende jeden Absatzes als Fussnote eingefügt. Quelle: https://www.youtube.com/watch?v=Mq85IZMeigc&t=2s. Originaltranskript: PACE hearing on Julian Assange's detention and conviction and their chilling effects on human rights. Julian Assange: «Mr. Chairman, esteemed members of the Parliamentary Assembly of the Council of Europe, ladies and gentlemen, the transition from years of confinement in a maximum security prison to being here before the representatives of 46 nations and 700 million people is a profound and a surreal shift. The experience of isolation for years in a small cell is difficult to convey. It strips away one's sense of self, leaving only the raw essence of existence. I am yet not fully equipped to speak about what I have endured, the relentless struggle to stay alive, both physically and mentally, nor can I speak yet about the deaths by hanging, murder, and medical neglect of my fellow prisoners. I apologize in advance if my words falter or if my presentation lacks the polish you might expect from such a distinguished forum. Isolation has taken its toll, which I am trying to unwind, and expressing myself in this setting is a challenge. However, the gravity of this occasion and the weight of the issues at hand compel me to set aside my reservations and speak to you directly. I have traveled a long way, literally and figuratively, to be before you today. Before our discussion or answering any questions you might have, I wish to thank PACE (Parliamentary Assembly of the Council of Europe) for its 2020 resolution, which stated that my imprisonment set a dangerous precedent for journalists and noted that the UN Special Rapporteur on Torture called for my release. I'm also grateful for PACE's 2021 statement, expressing concern over credible reports that US officials discussed my assassination, again calling for my prompt release. And I commend the Legal Affairs and Human Rights Committee for commissioning a renowned rapporteur, [...] to investigate the circumstances surrounding my detention and conviction and the consequent implications for human rights.
However, like so many of the efforts made in my case, whether they were from parliamentarians, presidents, prime ministers, the pope, UN officials and diplomats, unions, legal and medical professionals, academics, activists, or citizens, none of them should have been necessary. None of the statements, resolutions, reports, films, articles, events, fundraisers, protests, and letters over the last 14 years should have been necessary. But all of them were necessary because without them, I never would have seen the light of day. This unprecedented global effort was needed because the legal protections, of the legal protections that did exist, many existed only on paper, were not effective in any remotely reasonable time.
I eventually chose freedom over unrealizable justice after being detained for years and facing a 175-year sentence with no effective remedy. Justice, for me, is now precluded, as the U.S. government insisted in writing into its plea agreement that I cannot file a case at the European Court of Human Rights or even a Freedom of Information Act request over what it did to me as a result of its extradition request.
I want to be totally clear. I am not free today because the system worked. I am free today after years of incarceration because I pled guilty to journalism. I pled guilty to seeking information from a source. I pled guilty to obtaining information from a source. And I pled guilty to informing the public what that information was. I did not plead guilty to anything else. I hope my testimony today can serve to highlight the weaknesses of the existing safeguards and to help those whose cases are less visible but who are equally vulnerable.
As I emerge from the dungeon of Belmarsh, the truth now seems less discernible, and I regret how much ground has been lost during that time period, how expressing the truth has been undermined, attacked, weakened, and diminished. I see more impunity, more secrecy, more retaliation for telling the truth, and more self-censorship. It is hard not to draw a line from the US government's prosecution of me, it’s crossing the Rubicon by internationally criminalizing journalism, to the chilled climate for freedom of expression that exists now.
When I founded WikiLeaks, it was driven by a simple dream, to educate people about how the world works so that, through understanding, we might bring about something better. Having a map of where we are lets us understand where we might go. Knowledge empowers us to hold power to account and to demand justice where there is none. We obtained and published truths about tens of thousands of hidden casualties of war and other unseen horrors, about programs of assassination, rendition, torture, and mass surveillance. We revealed not just when and where these things happened, but frequently the policies, the agreements, and the structures behind them. When we published «Collateral Murder», the infamous gun camera footage of a US Apache helicopter crew eagerly blowing to pieces Iraqi journalists and their rescuers, the visual reality of modern warfare shocked the world. But we also used interest in this video to direct people to the classified policies for when the US military could deploy lethal force in Iraq and how many civilians could be killed before gaining higher approval. In fact, 40 years of my potential 175-year sentence was for obtaining and releasing those policies.
The practical political vision I was left with after being immersed in the world's dirty wars and secret operations is simple. Let us stop gagging, torturing, and killing each other for a change. Get these fundamentals right, and other political, economic, and scientific processes will have space to take care of the rest.
WikiLeaks' work was deeply rooted in the principles that this assembly stands for. Our journalism elevated freedom of information and the public's right to know. It found its natural operational home in Europe. I lived in Paris, and we had formal corporate registrations in France and in Iceland. Our journalistic and technical staff was spread throughout Europe. We published to the world from servers based in France, in Germany, and in Norway.
But 14 years ago, the United States military arrested one of our alleged whistleblowers, Private First Class Manning, a US intelligence analyst based in Iraq. The US government concurrently launched an investigation against me and my colleagues. The US government illicitly sent planes of agents to Iceland, paid bribes to an informer to steal our legal and journalistic work product, and without formal process, pressured banks and financial services to block our subscriptions and to freeze our accounts. The UK government took part in some of this retribution. It admitted at the European Court of Human Rights that it had unlawfully spied on my UK lawyers during this time.
Ultimately, this harassment was legally groundless. President Obama's Justice Department chose not to indict me, recognizing that no crime had been committed. The United States had never before prosecuted a publisher for publishing or obtaining government information. To do so would require a radical and ominous reinterpretation of the US Constitution. In January 2017, Obama also commuted the sentence of Manning, who had been convicted of being one of my sources.
Eine Schildmütze mit «MAGA»-Aufschrift: «make America great again»
However, in February 2017, the landscape changed dramatically. President Trump had been elected. He appointed two wolves in MAGA hats, Mike Pompeo, a Kansas congressman and former arms industry executive, as CIA director, and William Barr, a former CIA officer, as US attorney general. By March 2017, WikiLeaks had exposed the CIA's infiltration of French political parties. It's spying on French and German leaders. It's spying on the European Central Bank, European Economics Ministries, and it's standing orders to spy on French industry as a whole. We revealed the CIA's vast production of malware and viruses. It's subversion of supply chains. It's subversion of antivirus software, cars, smart TVs, and iPhones.
CIA director Pompeo launched a campaign of retribution. It is now a matter of public record that under Pompeo's explicit direction, the CIA drew up plans to kidnap and to assassinate me within the Ecuadorian embassy in London and authorize going after my European colleagues, subjecting us to theft, hacking attacks, and the planting of false information. My wife and my infant son were also targeted. A CIA asset was permanently assigned to track my wife, and instructions were given to obtain DNA from my six-month-old son's nappy. This is the testimony of more than 30 current and former US intelligence officials speaking to the US press, which has been additionally corroborated by records seized in a prosecution brought against some of the CIA agents involved.
The CIA's targeting of myself, my family, and my associates through aggressive extrajudicial and extraterritorial means provides a rare insight into how powerful intelligence organizations engage in transnational repression. Such repressions are not unique. What is unique is that we know so much about this one due to numerous whistleblowers and to judicial investigations in Spain.
This assembly is no stranger to extraterritorial abuses by the CIA. PACE's groundbreaking report on CIA renditions in Europe exposed how the CIA operated secret detention centers and conducted unlawful renditions on European soil, violating human rights and international law. In February this year, the alleged source of some of our CIA revelations, former CIA officer Joshua Schulte, was sentenced to 40 years in prison under conditions of extreme isolation. His windows are blacked out, and a white noise machine plays 24 hours a day over his door so that he cannot even shout through it. These conditions are more severe than those found in Guantánamo Bay. But transnational repression is also conducted by abusing legal processes. The lack of effective safeguards against this means that Europe is vulnerable to having its mutual legal assistance and extradition treaties hijacked by foreign powers to go after dissenting voices in Europe.
In Michael Pompeo's memoirs, which I read in my prison cell, the former CIA director bragged about how he pressured the US Attorney General to bring an extradition case against me in response to our publications about the CIA. Indeed, acceding to Pompeo's requests, the US Attorney General reopened the investigation against me that Obama had closed and re-arrested Manning, this time as a witness. Manning was held in a prison for over a year, fined $1,000 a day, in a formal attempt to coerce her into providing secret testimony against me. She ended up attempting to take her own life. We usually think of attempts to force journalists to testify against their sources. But Manning was now a source being forced to testify against their journalist. By December 2017, CIA Director Pompeo had got his way, and the US government issued a warrant to the UK for my extradition. The UK government kept the warrant secret from the public for two more years, while it – the US government – and the new president of Ecuador moved to shape the political, the legal, and the diplomatic grounds for my arrest.
When powerful nations feel entitled to target individuals beyond their borders, those individuals do not stand a chance unless there are strong safeguards in place and a state willing to enforce them. Without this, no individual has a hope of defending themselves against the vast resources that a state aggressor can deploy. If the situation were not already bad enough in my case, the US government asserted a dangerous new global legal position. Only US citizens have free speech rights. Europeans and other nationalities do not have free speech rights. But the US claims its espionage act still applies to them, regardless of where they are. So Europeans in Europe must obey US secrecy law with no defenses at all as far as the US government is concerned. An American in Paris can talk about what the US government is up to, perhaps. But for a French man in Paris, to do so is a crime with no defense, and he may be extradited just like me. Now that one foreign government has formally asserted that Europeans have no free speech rights, a dangerous precedent has been set. Other powerful states will inevitably follow suit. The war in Ukraine has already seen the criminalization of journalists in Russia. But based on the precedent set in my extradition, there is nothing to stop Russia, or indeed any other state, from targeting European journalists, publishers, or even social media users by claiming that their domestic secrecy laws have been violated.
The rights of journalists and publishers within the European space are seriously threatened. Transnational repression cannot become the norm here. As one of the world's two great norm-setting institutions, PACE must act. The criminalization of news-gathering activities is a threat to investigative journalism everywhere. I was formally convicted by a foreign power for asking for, receiving, and publishing truthful information about that power while I was in Europe. The fundamental issue is simple. Journalists should not be prosecuted for doing their jobs. Journalism is not a crime. It is a pillar of a free and informed society.
Mr. Chairman, distinguished delegates, if Europe is to have a future where the freedom to speak and the freedom to publish the truth are not privileges enjoyed by a few, but rights guaranteed to all, then it must act so that what has happened in my case never happens to anyone else. I wish to express my deepest gratitude to this assembly, to the conservatives, social democrats, liberals, leftists, greens, and independents who have supported me throughout this ordeal, and to the countless individuals who have advocated tirelessly for my release. It is heartening to know that in a world often divided by ideology and interests, there remains a shared commitment to the protection of essential human liberties. Freedom of expression and all that flows from it is at a dark crossroad. I fear that unless institutions like PACE wake up to the gravity of the situation, it will be too late. Let us all commit to doing our part to ensure that the light of freedom never dims, that the pursuit of truth will live on, and that the voices of the many are not silenced by the interests of the few. Thank you.
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