Direkte Demokratie in Europa und die Volksabstimmung in der Schweiz vom 3. März 2024
Gastbeitrag von Béla Szoradi
Direkte Demokratie
Die repräsentative Demokratie hat sich in ihrer über hundertjährigen Geschichte immer wieder bzw. immer mehr als plutokratisches Fassadensystem erwiesen: Kapitalkräftige Kreise bedienen sich ihr zur verdeckten Durchsetzung ihrer Sonderinteressen, während dem das Wahlvolk meint, durch Wahlen eigene Interessen im parlamentarischen System repräsentieren zu können.
Der aufgeklärte und kritische Teil der demokratischen Öffentlichkeit meint nunmehr, mit Hilfe plebiszitärer Elemente, mit sogenannter «Direkter Demokratie» dieser Plutokratie entgegen wirken zu können. Namentlich in Deutschland und Österreich werden entsprechende Rufe und Forderungen immer lauter, wobei insbesondere auf das Vorbild Schweiz mit ihrem direktdemokratischen System verwiesen wird.
So verständlich das Anliegen ist, es übersieht dennoch das eigentliche Problem des herrschenden Privatkapitalismus: Das Kapital übt seine Herrschaft primär über das Medien- und Pressesystem aus. Durch dieses erst wird die öffentliche und politische Meinung geformt, die politische und soziale Handlungsrichtung vorgegeben. Dies gilt selbstverständlich auch in der Direkten Demokratie, wo dann Abstimmungskampagnen durch und mit diesem Medien- und Pressesystem geführt werden, unter Einsatz des dafür als notwendig erachteten Kapitals.
Jeder so durch Bewusstseinsmanipulation errungene Abstimmungssieg gegen die Interessen der Bevölkerung verschafft dem herrschenden plutokratischen System eine viel weiter gehende Legitimation, als sie durch parlamentarische Entscheidungen je erreichbar wäre. Mit dem Ergebnis, dass weitere wichtige Diskussionen und Abwägungen mit Verweis auf Volksentscheide unterbunden werden können.
Eine Überwindung der herrschenden undemokratischen Machtstrukturen ist demgegenüber nach wie vor nur durch wirkliche Aufklärung möglich, wozu gerade ein befreites Geistes- und Kulturleben, also wirklich unabhängige Medien und Presse erste Voraussetzung ist. Ein solches befreites Geistesleben wiederum ist nur in einer Gesellschaft möglich, die sich nach den Ideen der sozialen Dreigliederung organisiert.
In diesem Zusammenhang können und müssen die nachfolgende Abstimmungsanalyse und Abstimmungsempfehlung verstanden werden, die die kommende Schweizerische Volksabstimmung vom 3. März 2024 zum Thema haben.
Zwei, in ihrer Zielsetzung gegensätzliche Volksinitiativen zur Schweizerischen Alters- und Hinterlassenenversicherung AHV und zum Renteneintrittsalter kommen zur Abstimmung:
Volksinitiative «Für ein besseres Leben im Alter (Initiative für eine 13. AHV-Rente)»
Diese Initiative will, dass alle Rentenberechtigten jährlich eine 13. AHV-Rente erhalten.
Volksinitiative «Für eine sichere und nachhaltige Altersvorsorge (Renteninitiative)»
Diese Initiative will
– das Rentenalter bis 2033 schrittweise auf 66 Jahre erhöhen,
– danach das Rentenalter an die durchschnittliche Lebenserwartung koppeln.
Der Schweizerische Bundesrat (Regierung), die bürgerlichen Parteien sowie der Dachverband der Schweizer Wirtschaft «Economiesuisse» wollen in einer gross angelegten Kampagne die Schweizer Stimmbürgerinnen und Stimmbürger glauben machen, dass es (wieder einmal) in ihrem Interesse sein soll, gegen ihre eigentlichen Interessen abzustimmen. Diese mit viel Geld aufgezogene Kampagne ist für schweizerische Verhältnisse besonders heuchlerisch und verlogen, wie nachfolgende Beurteilung aufzeigen will.
Ausgangslage:
Die Schweizerische AHV ist als erste Säule der Altersvorsorge eine umlagefinanzierte Rentenversicherung, der alle in der Schweiz niedergelassenen Personen obligatorisch angeschlossen sind: Die jeweiligen AHV-Beiträge, die den Arbeitnehmern vom Einkommen abgezogen werden (bzw. den übrigen Beitragspflichtigen in Rechnung gestellt werden), werden für die Finanzierung der laufenden Renten der Pensionierten verwendet. Dies bedeutet, dass prinzipiell kein Sparvermögen gebildet werden muss, mit Ausnahme eines gesetzlichen Ausgleichsfonds (Reservepolster) zum Ausgleich von kurzfristigen Schwankungen auf der Einnahmeseite infolge der Wirtschaftslage.
Demgegenüber steht als zweite Säule der Altersvorsorge die kapitalgedeckte Rentenversicherung der Pensionskassen, der alle in der Schweiz angestellten Arbeitnehmer obligatorisch angeschlossen sind: Die jeweiligen Pensionskassenbeiträge, die den Arbeitnehmern vom Lohn abgezogen, und in gleicher Höhe von den Arbeitgebern ergänzt werden, werden individuell für ein Altersvermögen angespart, das zur Finanzierung der Pensionskassenrenten verwendet wird.
Das Renteneintrittsalter für AHV und Pensionskassen wurde mit der letzten Volksabstimmung zu diesem Thema einheitlich auf 65 Jahre festgelegt.
Perspektive der Dreigliederung
Zwar soll das Wirtschaftsleben aus seiner Produktivität auch für ein angemessenes Einkommen derjenigen Menschen sorgen, die nicht am Arbeitsleben teilnehmen können. Das diesbezügliche Recht auf Lebensunterhalt wird aber durch das Rechtsleben bestimmt. Indem die Initiative Anspruch auf eine 13. AHV-Rente festlegt, substantiiert sie dieses Recht, weshalb das Thema zum Rechtsleben gehört.
Auch die Initiative für eine Erhöhung des Rentenalters will die Rechtsstellung der Rentenberechtigten regeln, was wiederum klar Aufgabe des Rechtslebens ist, auch wenn sie sich nicht nur auf die privatwirtschaftlichen Pensionskassen, sondern auch auf die staatliche AHV auswirkt.
Inhaltliche Beurteilung der beiden Vorlagen
Der Einheitsstaat wird immer komplexer, und damit für das Bewusstsein immer weniger greifbar. Dies ist ganz im Sinne der materialistischen Gegenkräfte, denn so können deren Ziele am Bewusstsein und damit an der freien Willensbildung der Menschen vorbei erreicht werden. Besonders ausgeprägt zeigt sich dieses fundamentale Problem bei den Sozialwerken der Altersvorsorge.
So sind die herrschenden bürgerlichen, privatkapitalistischen Klassen in der Schweiz den sozialen Forderungen der minder privilegierten Klassen schon immer so weit entgegengekommen, wie es zur Vermeidung revolutionärer klassenkämpferischer Umtriebe notwendig war. Eine solche Konzession ist das Sozialwerk der AHV/IV, das zur Verwaltung dem bürgerlichen Staat zugewiesen wurde. Dies ist diesen privatkapitalistischen Kräften umso leichter gefallen, als es für sie an der umlagefinanzierten AHV nichts zu profitieren gab. Die parlamentarische bürgerliche Dominanz hat seither dafür gesorgt, dass der entsprechende Auftrag der Bundesverfassung (BV Art. 112), wonach die AHV den Existenzbedarf angemessen decken muss, nicht erfüllt wird. Es reicht ein Blick auf die Ausgestaltung der AHV, um erkennen zu können, dass deren Renten niemals existenzsichernd sind! Stattdessen wurde 1966 ein provisorisches System von Ergänzungsleistungen (EL) eingeführt, das die wirtschaftliche Not von AHV-Rentenbezügern lindern soll. Dies so lange, bis die AHV den Lebensbedarf decken kann. So definitiv also seither die EL geworden sind, so definitiv bleibt die Missachtung des klaren Verfassungsauftrages von Art. 112 BV durch das Parlament.
Darüber hinaus wurde mit einer Reform der EL 2021 der Anspruch auf EL gekürzt, indem die Vermögensfreibeträge für den Anspruch auf EL gesenkt wurden, so dass der Kreis der Anspruchsberechtigten reduziert wird. Dies ist schon deshalb stossend, weil der Anspruch auf eine existenzsichernde AHV-Rente allen Beitragszahlern zusteht, unabhängig von ihrer Vermögenslage. Mehr noch: Es sind gerade die vermögenden, einkommensstarken Kreise, die im Verhältnis zur nach oben begrenzten AHV-Rente massiv überproportional in die AHV einzahlen. Die ursprünglich provisorischen EL werden durch die erwähnten Senkungen auf diese Weise immer mehr zu einer zweiten Sozialhilfe umfunktioniert. Seit Januar 2024, nach dem Auslaufen von Übergangsbestimmungen der EL-Reform, wurden also mehreren Zehntausend EL-Bezügern ihre EL-Renten gekürzt, während die Schweizerische Konferenz für Sozialhilfe (SKOS) aufgrund von Hochrechnungen erwartet, dass 8’000 einkommensschwache EL-Berechtigte ihren Anspruch ganz verlieren, zweidrittel davon Pensionierte.
Zum «Kleinhalten» dieses Sozialwerkes AHV gehört auch ein jahrzehntelanges «Schlechtreden» mittels Kampagnen über Politik und Medien: So wird immer wieder behauptet, dass die Finanzierung aufgrund demografischer Probleme nicht gesichert sei, und in diesem Zusammenhang die Solidarität der Rentenfinanzierer mit den Rentenbezügern in der AHV zu einer Umverteilung von Jung zu Alt führe. Unterschlagen wird hierbei, dass die jüngere Generation von einer im allgemeinen gestiegenen Arbeitsproduktivität profitiert, die von den älteren Arbeitnehmern mit erschaffen wurde, und die sich in reduzierter Arbeitsbelastung bzw. Arbeitspensen spiegelt, was wiederum zu reduzierten AHV-Beiträgen führt. Jede Art von Solidarität bedeutet logischerweise Umverteilung. Die Umverteilung via AHV wird von Art. 112 BV gefordert.
Seit Jahrzehnten erweisen sich auch so alle prognostizierten Berechnungen über die «schon bald» eintreffende finanzielle «Schieflage» der AHV als immer wieder falsch, was Economiesuisse, Grossunternehmen, Grossbanken und bürgerliche Kräfte nicht davon abbringt, mit Unsummen von Kampagnengeld weiter das baldige Ende der AHV vorherzusagen, wenn nicht endlich finanzpolitische Vernunft einkehrt, und das Rentenalter entsprechend angehoben und die Renten nach Möglichkeit gekürzt werden. So auch jetzt wieder bei der Nein-Kampagne gegen eine 13. AHV-Rente, und bei der Ja-Kampagne für eine Anhebung des Rentenalters.
Es sind diese erwähnten politischen und wirtschaftlichen Kräfte, welche bei einer tatsächlichen Schieflage einer Grossbank wie der UBS im Jahre 2008 von heute auf morgen 60 Milliarden Franken zur Rettung auf den Tisch legen können, obwohl die Schieflage von der UBS selbst verschuldet war, durch eine aggressive Expansionsstrategie in den USA («Hochrisikostrategie»). Die gleiche UBS hat es übrigens ein paar Jahre vorher mit Verweis auf die herrschenden Prinzipien der freien Marktwirtschaft abgelehnt, bei der Rettung der Swissair entscheidend mitzuhelfen… Die Rettung der UBS war begleitet von Schwüren und Versprechen von Staat, Aufsicht, Bank, bürgerlichen Parteien und Presse, dass ein solcher Ausnahmefall nie mehr vorkommen darf und wird, und entsprechende gesetzliche Regelungen zur Abwicklung überschuldeter Grossbanken vorbereitet werden. Fünfzehn Jahre später, 2023, brechen diese Kreise dieses Versprechen, nachdem nunmehr die Credit Suisse (CS) in Schieflage geraten ist: Wieder von heute auf morgen werden jetzt über 200 Milliarden Franken zur Rettung der CS auf den Tisch gelegt. Wobei «Rettung» diesmal bedeutet, dass die CS mit Hilfe des staatlichen Geldes ihrem Konkurrenten UBS massiv unter Wert verkauft wurde.
Begründet wurde diese Art der Bevorzugung von Grossbanken mit deren Systemrelevanz. Unterschlagen wird hierbei immer wieder, wie es zu dieser Systemrelevanz überhaupt kommen konnte: Seit Ende 1980er bzw. Beginn der 1990er Jahre wurde von den erwähnten herrschenden Kreisen eine weltweite Deregulierung des gesamten Finanzsystems durchgesetzt (GB: «Big bang» von Margareth Thatcher; USA: «Washington Consensus» und ähnliche Programme durch die Reagen-Regierungen). Ein wichtiges Ziel dieser Deregulierung war insbesondere die weltweite Aufhebung des Trennbankensystems, womit neu die eine Banksparte (Einlagegeschäft mit Sparern) für die andere Banksparte (Investmentgeschäft bzw. Risikospekulation) mithaftete. Mit anderen Worten: Seither werden die Sparer von den Banken für ihr Risikogeschäft in finanzielle Geiselhaft genommen. Diese Geiselhaft wird seither «Systemrelevanz» genannt.
Weiter wurde mit der erwähnten Deregulierung der Eigenhandel der Banken erlaubt (Handel und Spekulation auf eigene Rechnung), womit diese seither gegen ihre eigenen Kunden investieren und wetten können bzw. müssen. Kombiniert mit der Geiselhaft führt dies dazu, dass Sparer und Investoren vom Bankensystem fast nach Belieben abgezockt werden können.
Dazu kommt weiter, dass in der Schweiz zu gleicher Zeit das eingangs erwähnte kapitalgedeckte Pensionskassensystem (zweite Säule) obligatorisch gemacht wurde, womit dem deregulierten Finanzsystem riesige Summen von Spargeldern aus den Pensionskassen zugeführt werden konnte. Denn hier, mit den kapitalgedeckten Pensionskassen, eröffnete sich ein weiteres Feld des Profites für Anlageberater, Banken, Anlagefonds und überhaupt der ganzen sog. «Finanzindustrie». Und gerade deshalb ist es nicht die umlagefinanzierte AHV, sondern es sind die Pensionskassen, welche notwendigerweise immer wieder in Schieflage geraten müssen, weil diese wie Milchkühe an der Börse und durch die erwähnte «Finanzindustrie» gemolken werden können, mit der Folge einer riesigen Umverteilung von arm zu reich. Weswegen die Umwandlungs- und Zinssätze der Pensionskassen immer weiter gesenkt werden müssen, um die realen Schieflagen auszugleichen. Weiter müssen die Pensionskassen bei jeder Börsenbaisse Sanierungsrunden zulasten der Versicherten veranstalten, womit dann die nächste Börsenhausse mitfinanziert wird… Hierbei wiederum sammeln sich immer grössere sog. freie Reservevermögen an, die nicht mehr einem individuellen Pensionskassensparer zustehen, weshalb dieser insofern daran nicht mitprofitieren kann, was die ganze Sache nur noch schlimmer macht. Die Entwicklung der letzten vierzig Jahre zeigt also mittlerweile klar, weshalb der bürgerliche Staat die Pensionskassen einerseits obligatorisch und andererseits privatwirtschaftlich hat regeln wollen. (Was dieses Pensionskassensystem ausserdem an Verwerfungen auf den Immobilienmärkten anrichtet, soll hier ausgeklammert bleiben).
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist, dass diese entfesselte Finanzwirtschaft von den Zentral- und Notenbanken mitbefeuert wurden und werden mit einer beispiellos massiven Geldmengenexpansion, wobei dieses Geld direkt in die Wirtschaftssphäre fliesst (Bankensystem, Grosskonzerne etc.), aufgrund von behaupteter «Systemrelevanz» des Finanzsystems, und entgegen allen wirtschaftsliberalen Vorbehalten gegen einen solchen Missbrauch von und durch Zentralbanken. Es versteht sich von selbst, dass eine Gleichbehandlung sozialpolitischer Anliegen (also beispielsweise einer entsprechenden Mitfinanzierung der AHV) durch die Schweizerische Nationalbank von den erwähnten Profiteuren aus der Finanzwirtschaft vehement abgelehnt wird.
Es sind jetzt die Vertreter und Profiteure dieses monströsen Systems, die dem Stimmbürger mittels einer Millionenkampagne weissmachen wollen, dass kein Geld für eine 13. AHV-Rente vorhanden sei, und entsprechend an seine finanzpolitische Verantwortung und Vernunft appellieren, die Vorlage abzulehnen. Dies ist in jeder Hinsicht unglaubwürdig.
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Klare Verfassungsauftrag der Existenzsicherung und die hier angeführten Zusammenhänge sprechen also eindeutige für ein Ja für eine 13. AHV-Rente!
Die Initiative für eine Erhöhung des Rentenalters wird mit der steigenden Lebenserwartung begründet. Die Steigung scheint nach verschiedenen Angaben (u.a. Bundesamt für Statistik) jedoch abzuflachen, weswegen die weitere Entwicklung der Lebenserwartung vorerst beobachtet werden sollte, bevor sichere Schlüsse gezogen werden können.
Deshalb werden zwei weitere Aspekte für die Beurteilung dieser Initiative wichtig:
Erstens haben die oben aufgeführten Entwicklungen in der Finanzbranche dazu geführt, dass gemäss Zahlen des Bundesamtes für Statistik (BfS) die Beschäftigten des Bankensektors im Schnitt mit 62.8 Jahren in Pension gehen können, und nicht einmal die Hälfte bis zum 65. Jahr arbeitet. Ausgerechnet dieses asoziale Segment kann sich also eine Frühpension infolge der erwähnten Umverteilung von arm zu reich leisten…
Zweitens ist es so, dass die erwähnten Kreise als Arbeitgeber den Beweis bis heute schuldig bleiben, älteren Beschäftigten gleiche Chancen und Bedingungen einzuräumen, wie jungen Bewerbern und Arbeitnehmern, was eine elementare Voraussetzung für eine Erhöhung des Rentenalters ist. So titeln verschiedene Tageszeitungen in den letzten Wochen vom «Mythos Fachkräftemangel», und lassen ältere, frustrierte Arbeitslose zu Wort kommen, die über die unwürdige, demütigende Stellensuche und Bewerbungsverfahren in diesem Alter berichten. Während die Arbeitgeber öffentlich einen «Fachkräftemangel» vorschieben, der aufgrund der Personenfreizügigkeit mit der EU gar keiner ist. In der Kommentarspalte eines der erwähnten Zeitungsartikel ist folgender Beitrag eines älteren Arbeitslosen zu lesen:
«Nach ca. 600 Bewerbungen in meinem Beruf, kann ich ein Lied singen. Da das RAV nach einer gewissen Zeit erwartet, dass man sich auch in anderen Berufsgattungen bewirbt, kenne ich auch diese. Ich habe mich bereits als Kellneraushilfe, bei Starbucks, bei Mac Donalds, als Unterstützer beim Scannen in der Uni, als Taxifahrer, als Kassier, als Auto- und Velokurier, als Telefonverkäufer, als Wachmann, als Servicekraft, als Zeitungszusteller, Postaushilfe und als Securitymann beworben. Überall das gleiche Lied: Es hat den/die bessere Bewerber/in gegeben, selbst wenn es Working Poor-Stellen sind. Ich fragte beim Arbeitgeberverband nach, wieso es überhaupt Arbeitslose gibt, wenn in diesem Land eine Vollbeschäftigung möglich wäre. Die Antwort, die Arbeitnehmer sollen sich um ihren Job fürchten müssen, denn sonst werden sie zu unproduktiv. Der Arbeitsmarkt reguliert sich halt selbst. Ausserdem seien die Gewerkschaften schuld. Als ich die höchste RAV-Vorsteherin fragte, wich sie auch aus. Den/Die Arbeitgeber/in kann man hier nicht tadeln, denn er/sie wäre ja schön blöd, wenn er /sie nicht den Besten/die Beste nehmen würde. Nach kategorischem Imperativ müssten wir Bewerbenden uns das eigentlich nicht gefallen lassen. Denn wenn es eine eierlegende Wollmilchsau gibt, wird diese eingestellt. Wenn wir Bewerbenden kein Rückgrat haben und im Bewerbungsprozess alle keine Ecken und Kanten zeigen, sondern schön kuschen, wird sich nie etwas ändern.»
Mittels Täuschungen und Unterschlagungen wird also sowohl die volle Personenfreizügigkeit wie auch die Erhöhung des Pensionsalters gefordert. Fazit: Während die Arbeitgeber gerne aus dem Vollen schöpfen, wollen sie die Arbeitnehmer in Existenzangst halten und auf dem Arbeitsmarkt herumhetzen können.
Zwei Aspekte also, die gerade heute ein «Nein» zur Initiative für eine Erhöhung des Rentenalters fordern!
Solange die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger sich nicht zu einer sozialen Ordnung durchringen können, die sich an der Idee der Dreigliederung orientiert, werden sie nicht umhinkommen, sich mit zunehmender intellektueller Anstrengung, wozu ein sehr gutes sozialpolitisches Gedächtnis gehört, der zunehmenden Komplexität des Einheitsstaates zu stellen, wollen sie von den dieses Gebilde beherrschenden Kräften nicht dauernd über den Tisch gezogen werden.
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